Wie die Vogelmiere dem kleine Elf half, das Geheimnis des Winters zu entdecken
Tief verborgen vor den Blicken der Menschen lebte ein kleiner Elf im grünen Herzen des Waldes. Alle Geschöpfe des Waldes waren seine Freunde. Jedes und jeden respektierte er so wie es oder er war. Niemandem gab er ein harsches Wort und für alle fand er ein offenes Ohr.
So hatte er ein gutes Auskommen und das, was er an Freundlichkeit und Herzenswärme aussandte, kam zu ihm zurück.
Im Sommer liebte es der kleine Elf, in den Blüten des Springkrautes oder der Waldglockenblumen zu schaukeln, sich in einem Tautropfen zu baden oder etwas von dem süßen Honig zu naschen, den die Bienen ihm schenkten.
Im Winter jedoch träumte der Elf einen langen Traum, bis die Frühlingssonne ihn wieder wach küsste.
So ging das viele Jahre. Doch eines Sommers saß der Elf nachdenklich auf seiner Lieblingslichtung. Was wäre, wenn er in diesem Jahr nicht den Winter verschlief?
Was wäre, wenn er einfach wach bleiben würde? Ganz wach! So oft hatte ihm die alte Kiefer von den glitzernden und funkelnden Eiskristallen erzählt, der warmen weichen Schneedecke und der großen Stille des Winters. Ach wie gern hätte der kleine Elf auch einmal all diese Wunderpracht gesehen und der Stille gelauscht, so groß und unendlich.
Eines Tages vertraute er sich seinem besten Freund, dem alten Elf an. Der hörte aufmerksam zu und sprach nachdenklich: „ Nun mein Freund, nichts ist unmöglich. Zwar sind wir Elfen Geschöpfe des Lichts und lieben die Wärme, doch warum sollte dein Wunsch nicht in Erfüllung gehen? Frag den Waldmeister, der kann dir gewiss helfen.“
Ihr müsst wissen liebe Freunde, der Waldmeister, dessen Gewand wir mit unseren menschlichen Augen als duftende Pflanze wahrnehmen, ist der Hüter des Waldes, uralt und weise und er kennt die meisten Geheimnisse.
Ehrfurchtsvoll näherte sich der kleine Elf dem weisen Meister und schilderte ihm seinen brennenden Wunsch.
„So, so, wach bleiben möchtest du, den Winter erleben…“, schmunzelte der Weise. „Deine Aufgabe ist es, das Blühen und Wachsen der Pflanzen zu betreuen. Wenn du eine Pflanze findest, die auch unter dem tiefen Schnee weiter blüht, darfst du bleiben.“
Der kleine Elf lachte und klatschte vor Freude in die Hände. „Danke lieber Waldmeister, danke!“.
Von da an schaute der Elf noch viel aufmerksamer auf das Wachsen und Blühen der Pflanzen.
Doch welche Pflanze er auch fragte, alle blühten sie im Frühling oder Sommer, keine von ihnen im Winter.
Der Sommer ging dahin und die ersten Herbsttürme fegten über das Land. Der kleine Elf wurde müde und gähnte viel. Doch er wollte wach bleiben, ganz wach, den Winter erleben!
Eines freundlichen Herbstnachmittags saß er wieder auf seiner Lieblingslichtung. Da fiel sein Blick auf ein kleines unscheinbares Kraut, das in diesem Jahr recht häufig auf der kleinen Lichtung wuchs. Aber dieses kleine Kraut blühte auch schon. Es hatte viele kleine zarte, weiße Blüten. „Du bist es also auch nicht!“, seufzte der kleine Elf. „Was bin ich nicht?“, wollte die kleine zarte Pflanze wissen. „Die Pflanze, die auch im Winter weiter wächst und unter dem tiefsten Schnee blüht!“, antwortete der kleine Elf.
„Doch die bin ich!“, stellte die kleine zarte Pflanze fest. „Ich wachse und blühe auch im Winter. Sogar unter dem Schnee! Lass dich nicht durch meine Zartheit täuschen. Ich vermag vieles, auch Wunder!“
Der kleine Elf konnte sein Glück nicht fassen. „ Frierst du nicht unter dem eisigen Atem des Winters?“ „Oh nein“, wisperte die kleine Pflanze. „Ich liebe alle Jahreszeiten gleichermaßen. Keiner gebe ich dem Vorzug. Alle Jahreszeiten sind schön. Du musst nur ihr Geheimnis kennen.“ Der kleine Elf schwieg ein Weilchen. Dann fragte er schüchtern: „Liebe Pflanze, kannst du mir das Geheimnis des Winters verraten?“
„Das kann ich nicht, mein lieber Freund. Auch wenn ich es wollte. Geheimnisse wollen entdeckt werden! Aber wenn du möchtest, darfst du mich durch den Winter begleiten.
Mich hegen und pflegen, so wie es deiner Natur entspricht. Vielleicht entdeckst du dann das Geheimnis des Winters!“
Der kleine Elf jubelte. Er durfte bleiben! Und so geschah es. Er hegte und pflegte seine neue Freundin mit aller Liebe und Sorgfalt und ging so in seiner Aufgabe auf, dass er gar nicht müde wurde. Eines Nachts begann es zu schneien. Am Morgen hatte sich der Wald des kleinen Elfen in eine weiß glitzernde Märchenwelt verwandelt. Der kleine Elf staunte. Behutsam strich er über den weißen Schnee, der in der frühen Morgensonne funkelte.
Still und festlich war dem kleinen Elf zumute. Er lauschte mit seinem Herzen und seinen großen Ohren in die Stille des Waldes. Diese Stille war das Schönste, was er je erlebt hatte.
Der ganze Wald atmete diese Stille und der kleine Elf fügte sich ein, ganz leicht und zart, wie seine Freundin die Vogelmiere.
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