Wie der Frühling Einzug hielt oder wie der Huflattich den Bräutigam herbeiruft
Der Winter, ein klappriger Greis, hauchte mit zitterndem Atem den Blättern ihr letztes Gespinst aus Eis und Schnee. Noch ein letztes Mal küsste er die Bäume, dass ihre Äste unter seinem frostigen Atemhauch knackten und stöhnten.
Doch seine Kraft schwand dahin. Die Sonne in ihrer jugendlichen Schönheit ließ den alten Vater Frost erzittern und erbeben, wie es sonst das Land unter der harten Hand des eisigen Winters tat.
Nichts, was des Winters Eigentum war, hielt den warmen Strahlen der Sonne stand. Sie verschenkte ihre warmen Küsse und lockte die ersten Blumen aus ihrem Winterschlaf.
Wie kleine Sonnen leuchteten sie jetzt aus dem Schnee. Als wollten auch sie bekräftigen, dass der Winter zu Ende ging.
Um die Mittagsstunde schmolz die junge Sonne die Eisdecke, unter der das Bächlein verborgen ruhte. Jetzt sprang es fröhlich glucksend über die letzten Eisschollen und leckte sie kleiner und kleiner. Ja, der Winter war ein alter Mann und die Sonne hatte ein leichtes Spiel mit ihm. Doch die holde Schöne hatte Mitleid mit dem alten Greis und ließ ihn noch ein letztes Mal gewähren.
Während sie sich hinter graue Wolken zurückzog, zog der Alte seinen letzten Trumpf.
Er blies auf seinem Muschelhorn, so dass sein langer grauer Bart flatterte.
Er blies und rief die Windgeister. Die kamen geflogen und heulten und jaulten, ihrem Herrn ein letztes Mal zu Diensten.
Genau zu dieser Zeit wanderte ein junges Mädchen, fest in ein warmes, rotes Tuch gewickelt, mit einem Körbchen in der Hand, durch den Wald.
Ihm schien der eisige Wind nicht zu schrecken. Im Gegenteil, fröhlich sprang es von Baumstumpf zu Baumstumpf und hatte seine Freude daran, wenn es einmal daneben sprang, und die schon dünne Eisdecke unter ihren Füßen knackte, der Schnee aufwirbelte und hier und da schon einen Blick auf den Waldboden freigab.
Nein, das Mädchen hatte keine Angst vor dem Winter. Es lief dahin und schaute aufmerksam auf den Wegesrand.
Da, endlich hatte sie gefunden, wonach sie suchte. Es waren die kleinen gelben Sonnenräder, die ersten Frühlingsblumen, die sie suchte. Entzückt klatschte das Mädchen in die Hände und pflückte sie eine nach der anderen behutsam in ihr Körbchen. Wohl darauf bedacht, noch genügend kleine Sonnen stehen zu lassen.
„Kommt ins Körbchen, lasst euch tragen, mit Behagen, sollt es gut haben…“, sang das Mädchen. Dann küsste es die Blumen, die noch am Wegesrand standen zum Abschied und sprang davon.
Zu Hause kochte sie einen Tee aus den nach Honig duftenden Blüten und so manche wanderte gleich in ihren Mund. „Hab die Sonne gegessen. Schaut alle her. Es ist jetzt warm in meinem Herzen, der Winter hat`s schwer. Will meinen Bräutigam locken. Ich werde ihn finden. Nicht unter Birken, nicht unter Linden, nicht unterm Holler ist er zu Haus, kehr ich den Schnee und den Frost hinaus, dann klopft er ans Tor, dann tritt er hervor…“
Das Mädchen sang und trällerte und trank ihren Tee aus goldgelben Blüten.
Am Abend klopfte es tüchtig an die Tür. Der Winter hatte seine letzte Kraft zusammen- genommen und bat um Einlass. Doch als sich die Tür öffnete, wurde er von der lichten Gestalt des Mädchens geblendet. Seine Kraft schwand vollends dahin und er hauchte seinen letzten Atem aus. Da erhob sich ein Brausen in der Luft und das Muschelhorn wurde erneut geblasen. Dieses Mal aber nicht vom alten Wintergreis, sondern von einem weitaus schöneren Mann, stattlich und jung, im lichtgrünen Gewand brauste er auf seinem goldenen Ross heran.
„Ist mein Gemahl gekommen zur rechten Zeit, breite ich aus mein Kleid aus Blumen und Duft…“, sang nun das Mädchen, als der Mann aus dem Sattel sprang.
Der junge Mann umarmte das Mädchen und gab ihm einen Kuss. Dann setzte er es auf sein goldenes Pferd und ließ erneut das Muschelhorn tönen.
Nun zog sich auch der letzte Schnee beschämt in die Erde zurück. Der Frühling hielt Einzug.
Der junge Mann jedoch führte seine schöne Frau nach Hause.
Sie feierten Hochzeit und alle, die ein offenes Herz hatten, feierten mit.
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